Gefährdungsursachen

Die aktuelle Rote Liste der gefährdeten Wildbienen datiert aus dem Jahr 1994 und stuft knapp 50% der heimischen Wildbienenarten als gefährdet ein. Derzeit erarbeiten Wildbienen-SpezialistInnen im Auftrag des BAFU die neue Ausgabe dieses Listings, und es steht zu erwarten, dass die Situation sich seit 1994 weiter verschlechtert hat.

Die Furchenbiene Lasioglossum sexnotatum (im BIld ein Weibchen) steht als gefärdete Art auf der Roten Liste. Obchon sie als eine nicht-spezialisierte Art gilt – sie sammelt Pollen an diversen Pflanzenfamilien – macht ihr die intensive Landwirtschaft schwer zu schaffen: Durch das Verschwinden von Magerwiesen und Weiden findet sie zunehmend weniger Nistmöglichkeiten und wurde längst zur seltenen Art. (Foto: © André Rey)

Der vielbemühte Terminus „Bienensterben“ bezieht sich im üblichen Sprachgebrauch auf ein Nutztier: die imkerlich gehaltene Honigbiene. Der Rückgang der Wildbienen hingegen findet in der Regel wenig Beachtung und wird eher unter dem Sammelbegriff Artensterben eingereiht. In diesem Beitrag wollen wir die Gefährdungsursachen der 616 in der Schweiz verbreiteten Wildbienenarten beleuchten. Sie betreffen allerdings nicht nur unsere Wildbienen, sondern einen Vielzahl der wilden Tier- und Pflanzenarten.

Sonderfall Honigbiene
Die Westliche Honigbeinen (Apis mellifera) ist das in der Individuenzahl meistgehaltene Nutztier der Schweiz. Ihre Bestände kranken an zahlreichen Ursachen, die mit der Art ihrer Haltung zu tun haben, so etwa fehlende Widerstandskraft durch Überzüchtung und gebietsfremde Parasiten wie die Varroamilbe. Daneben sind sie auch betroffen von einigen Ursachen, welche die Wildbienen schädigen. Wir gehen an dieser Stelle nicht vertieft auf die Ursachen des Imkerbienensterbens ein, das wird anderenorts bereits in aller Ausführlichkeit getan. Aussterben werden die Imkerbienen – so wie jedes Nutztier in Menschenhand – kaum. Wildlebende Völker der Westlichen Honigbiene gibt es in der Schweiz nurmehr sehr wenige. Für sie gelten dieselben Gefährdungsursachen wie für alle anderen Wildbienen.

Bedrohungs-Cluster Landwirtschaft
Die aufblühende Landwirtschaft des 17. Jahrhunderts bedeutete für die Biodiversität unseres Landes einen Aufschwung. Die Schaffung neuer, offener, abwechslungs- und und blütenreicher Landschaftstypen erzeugte neuen Lebensraum für zahlreiche Pflanzen- und Tierarten.
Mit der Industrialisierung der Landwirtschaft im 20. Jahrhundert trat dann der gegenteilige Effekt ein. Die klassischen Ansprüche der Industrialisierung – Produktivitätssteigerung, Spezialisierung, Technisierung, Gewinnoptimierung – führten zu einem bedenklichen Artenschwund im Agrarraum.
Einige der zahlreichen biodiversitäts-schädigenden Effekte der modernen Landwirtschaft:

Monokulturen
Ein Drittel der heimischen Wildbienen ist auf spezifische Pflanzenfamilien, -gattungen oder sogar -arten angewiesen. Sie finden in monokulturell ausgerichteten Landwirtschaftszonen keine oder nicht ausreichend Nahrung. Und selbst Generalisten unter den Wildbienen kommen mit Monokulturen nicht zurecht, weil sie entweder ganzjährig blütenlos sind (Mais- und Weizenkulturen) oder zu blütenlosen Perioden zwischen den Fruchtfolgen führen.

Strukturarmut
Die meisten Wildbienen nisten am oder im Boden, andere benötigen Totholz oder markhaltige Pflanzenstängel, offen-sandigen Böden, Böschungen, Asthaufen, abgestorbenen Pflanzen. Solche Kleinstrukturen fehlen den Wildbienen in unseren aufgeräumten Agrar- und Forsträumen. Hummeln setzen für ihre Fortpflanzung auf verlassene Erdhöhlen von Mäusen und Maulwürfen, die von den Bauern ebenfalls bekämpft werden.

Die Kurzhorn-Mauerbiene (Osmia brevicornis) bevorzugt für ihre Fortpflanzung Totholz mit Käferfrass-Gängen, in welchen sie ihre Brutzellen anlegt. Weil Totholz in unseren aufgeräumten Gärten, Pärken und ganz besonders in der modernen Landwirtschaft nicht mehr geduldet und konsequent entsorgt wird, sind die Bestände dieser Art massiv zurückgegangen – sie ist heute gefährdet. (Foto: © André Rey)

Gifte
Unkrautvernichtungs- und Schädlingsbekämpfungsgifte (Pestizide) und Kunstdünger werden in der industrialisierten Landwirtschaft flächendeckend eingesetzt. Während Herbizide und Kunstdünger durch die Reduktion der Wildpflanzen- und Blütenvielfalt indirekt wirken, schädigen Insektizide Wildbienen ganz direkt – denn Schädlingsgifte treffen nicht nur die Schädlinge, sondern alle mit ihnen in Kontakt geratenden Gliedertiere. Als besonders problematisch haben sich systemische Insektizide erwiesen: Sie lagern sich in allen Pflanzenteilen ab, gelangen also über Nektar, Pollen und Guttation (pflanzliche Wasserausscheidung) zu den Bienen.
Unberücksichtigt bleibt zudem die Cocktail-Wirkung, die diese Gifte miteinander und mit anderen Umweltgiften (bspw. aus Luft- und Gewässerverschmutzung) bewirken: Behördliche Zulassungen für Herbizide und Insektizide berücksichtigen alleine den zuzulassenden Stoff, nicht aber die Wechselwirkungen, die er mit anderen Agrar- oder Umweltgiften eingeht; folgerichtig existieren beim gleichzeitigen Einsatz mehrerer Herbizide oder Insektizide keine kumulierte Grenzwerte.

Nebst der modernen Landwirtschaft geraten Wildbienen auch durch folgende Ursachen zunehmend unter Druck:

  • der zunehmende Verlust von Pionierflächen
  • die flächige (anstatt sequentielle) Mahd von Wiesen
  • die Verbauung wertvoller Südlagen durch Siedlungsbau
  • die Fragmentierung natürlicher Landschaften durch Strassen und Siedlungserweiterungen
  • den Klimawandel

Foto: Die Weibchen der Rainfarn-Maskenbiene (Hylaeus nigritus) sammeln nur Pollen von Korbblütlern. Nektar trinken sie jedoch von zahlreichen Blütenpflanzen. Im Bild ein Männchen auf Wiesenkerbel (Foto: © Jürg Sommerhalder)

Auch Naturschutz kann schaden
Heute werden Pflegemassnahmen für Primär- und Sekundärlebensräume kantonal geregelt. Die Umnutzung von Mähwiesen in Beweidungsflächen (und umgekehrt), der Zeitpunkt und die Häufigkeit der Mahd sowie weitere Pflegemassnahmen dürfen jedoch nicht generalisiert erfolgen. Was André Rey in seinem umfassenden Schmetterlings-Beitrag auf biodovers.ch ausführlich und eindrücklich darlegt, gilt auch für Wildbienen: statische, undifferenzierte Pflegemassnahmen egal welchen Landschaftstyps beinhalten ein hohes Potential an Biodiversiäts-Schädigung anstelle der angestrebten Förderung. Vielmehr müssen erhaltende und fördernde Pflegemassnahmen unbedingt unter Berücksichtigung der lokal vorkommenden, besonders schützenswerten Arten erfolgen. Die Definiton von Zielarten für spezifische Lebensräume und darauf aufbauende Aktionspläne sind für ernstgemeinte Schutzkonzepte unabdingbar.

Referenzen

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