Weltweit sind aktuell um die 20’000 Bienenarten bekannt [1], 616 davon wurden bisher in der Schweiz nachgewiesen [2]. Die Honigbiene (Apis mellifera) ist nur eine davon und tritt heute fast ausschliesslich als Nutztier des Menschen auf. Im Gegensatz zur Honigbiene – der allgegenwärtigen Nutzbiene – werden alle anderen Bienenarten, zu denen auch die Hummeln gehören, als Wildbienen bezeichnet.
Foto: Die Rotschwarze Wespenbiene (Nomada fabriciana) ist eine Kuckucksbiene. Sie lebt als Brutprarasit von Sandbienen-Arten. Das Bild zeigt ein Männchen. (Foto: © Jürg Sommerhalder)
Entwicklungsgeschichte – Bienen sind vegetarische Wespen
Bienen sind eine Verwandtschaftsgruppe innerhalb der Stechimmen (Aculeata) – zu denen auch Ameisen und verschiedene Wespenfamilien gehören – und entwickelten sich aus den parasitischen Legimmen (Parasitica). Deren Name beruht auf ihrem Legestachel, mit dem sie Eier an oder in ihre Wirtstiere legen, die dann den geschlüpften Legimmenlarven als proteinreiche Nahrung dienen.
Aus den Legimmen entwickelten sich im Verlauf der Evolution die Stechimmen, wobei der Legestachel sich zu einem Wehrstachel umwandelte. Damit gingen sie von einer parasitischen Lebensweise zur Beutejagd über. Die Stechimmen begannen damit, an einem sicheren Ort für ihre Nachkommen Brutzellen anzulegen und diese mit proteinreichem Larvenproviant in Form von erbeuteten Gliederfüsslern zu füllen. Jede Zelle wurde fortan mit einem Ei ausgestattet und verschlossen, auf dass sich die gut versorgte Larve darin erfolgreich entwickeln kann. So halten es heute noch die Weibchen der meisten Grabwespen, Wegwespen oder Faltenwespen. Als sich die Blütenpflanzen entwickelten und verbreiteten, begannen einige der damaligen Grabwespen das nunmehr reich vorhandene Pollenangebot zu nutzen, indem sie die Brutzellen ihrer Nachkommen statt wie bisher mit Jagdbeute, nunmehr mit einer Mischung aus Nektar und eiweissreichem Blütenpollen ausstatteten. Die ersten Bienen waren somit nichts anderes als vegetarische Wespen!
Können alle Bienen stechen?
Die Antwort lautet wie bei allen Stechimmen: «Im Prinzip ja, aber nur die Weibchen». Da der Wehrstachel der Stechimmen sich evolutiv vom weiblichen (Eier)-Legestachel der Legimmen ableitet, haben nur weibliche Stechimmen einen Wehrstachel. Für jagende Stechimmen wie Grabwespen, Wegwespen oder solitäre Faltenwespen ist der giftige Wehrstachel essenziell, um die als Brutzellenproviant vorgesehene Jagdbeute zu lähmen – bei den pollensammelnden Bienen entfällt diese ursprüngliche Nutzung. Allerdings wird der Wehrstachel auch von sozialen Bienenarten wie der Honigbiene und in geringerem Masse von Hummeln zur Verteidigung ihrer Kolonien eingesetzt. Bei solitären Wildbienen stellt man fest, dass diese vor Menschen immer fliehen, ohne jemals ihre Nester zu verteidigen. Sie stechen nur, wenn man sie anfasst (fängt). Die Stiche sind jedoch in ihrer Giftwirkung harmlos, bei grossen Arten manchmal einige Minuten lang schmerzhaft, ohne aber anzuschwellen. Die Stiche kleiner Arten spürt man kaum, sofern deren Stacheln unsere Haut überhaupt durchdringen können. Allfällige Allergien sind hier nicht thematisiert.
Koevolution von Bienen und Blütenpflanzen
Mit den ersten pollensammelnden Bienen begann eine sich wechselseitig beeinflussende Koevolution von Bienen und Blütenpflanzen. Im Gegensatz zu den früheren Stechimmen, die den Blüten bis anhin nur wenig Nektar zur Eigenversorgung entnahmen, sammelten die Bienen nun Pollen in grossen Massen als Vorrat für ihre Nachkommen. Die Blütenpflanzen verloren entsprechend mehr Pollen, als für die bis dannzumal üblichen Bestäubungsmechanismen nötig gewesen sein dürfte, wurden von den pollenraubenden Bienen aber dennoch bestäubt – zumindest solange der Pollenvorrat reichte. So entstand für viele Blütenpflanzen ein komplexer Selektionsdruck, den Pollen einerseits in komplizierten Blüten zu verstecken, ihn den effizientesten Bestäubern aber dennoch nicht ganz vorzuenthalten. Als Ergebnis dieser Situation haben sich Bienen und Blüten einander im Lauf der Jahrmillionen soweit angepasst, dass Blüten die Bienen zwar anlocken, ihren Pollen dann aber nicht jeder Art gleichermassen gut zugänglich oder bekömmlich feilbieten.
Die meisten pollensammelnden Bienenfamilien entwickelten eine spezielle Behaarung zum Pollentransport. Zumeist sind dies Haarbürsten an den Hinterbeinen, bei einer Familie wird der Pollen an einer Bauchbürste auf der Unterseite des Hinterleibes transportiert. Lediglich Maskenbienen (Hylaeus) und in geringerem Masse auch Keulhornbienen (Ceratina) schlucken den gesammelten Pollen, um ihn im Nest wieder auszuwürgen. Deshalb weisen sie keine oder zumindest kaum Sammelhaare auf und gleichen eher Wespen. Diese unterschiedlichen Anpassungen und die damit entstandene Vielfalt der Bienen und der Bestäubungsmethoden sind mit ein Grund dafür, dass Bienen heute als die wichtigste Bestäubergruppe unter den Insekten gelten (siehe auch unseren Exkurs Bestäubung).
Hauptressource Blütenpollen – mit artspezifischen Präferenzen
Die gegenseitige Anpassung führte zu Spezialisierungen, sodass heute rund 35% der einheimischen Bienenarten Pollen jeweils nur auf Blüten von einigen wenigen Pflanzenfamilien oder auch nur einer einzigen Pflanzenfamilie oder -gattung sammeln [3]. So nutzt etwa die Weiden-Sandbiene (Andrena vaga) nur Pollen von Weiden (Salix) und die Glockenblumen-Sägehornbiene (Melitta haemorrhoidalis) nur von Glockenblumen (Campanula). Solche ausgesprochen selektiv sammelnden Bienenarten nennt man oligolektisch. Sammeln Bienenarten hingegen Pollen auf mehr als 2-3 Pflanzenfamilien, wie es die meisten Hummelarten (Bombus) machen, nennt man sie polylektisch. Ein beachtlicher Teil (25%) der einheimischen Bienenarten sammelt selbst keinen Pollen, sondern lebt parasitisch von den Vorräten anderer Bienenarten. Die sogenannt kleptoparasitischen Arten (klepto = stehlen) legen ihre Eier in artfremde Bienennester, wo ihre geschlüpfte Larve das Ei oder die Larve der Wirtsart beseitigt und sich am fremden Pollenvorrat bedient. Andere sogenannt sozialparasitische Arten übernehmen Kolonien von fremden sozialen Arten, was unter den Hummeln vorkommt.
Foto: Die Zaunrüben-Sandbiene (Andrena florea) ist hoch-spezialisiert: Sie sammelt Pollen ausschliesslich von Zaunrüben (Bryonia), von denen in unseren Breiten lediglich zwei Arten vorkommen. Das Bild zeigt ein Weibchen auf der männlichen Blüte der Zweihäusigen Zaunrübe (Bryonia dioica) (Foto: © Jürg Sommerhalder)
Solitäre und soziale Lebensweisen
Die meisten einheimischen Bienenarten leben solitär oder kleptoparasitisch. Bei den solitären Arten nistet jedes Weibchen für sich allein. Es investiert so viel Zeit in die sorgfältige Auswahl der Nistplätze, Konstruktion der Brutzellen und deren Verproviantierung, dass seine Lebenszeit normalerweise nicht ausreicht, um mehr als 10 bis 30 Nachkommen zu hinterlassen [4].
Solitäre Bienen und die von ihnen abhängigen kleptoparasitischen Arten fliegen sehr oft nur in einer Generation pro Jahr während rund fünf Wochen – vor allem wenn es sich um oligolektische Arten handelt, die den Pollen ihrer Nahrungspflanzen synchron zu deren Blütezeit sammeln müssen. Dadurch ist es nie gegeben, dass auf einer Fläche alle dort vorkommenden Arten gleichzeitig fliegen. Vielmehr hat von März bis Oktober praktisch jeder Monat seine spezifische Bienenfauna. Für manche Arten hat sich ein Übergang von der solitären zur sozialen Lebensweise bewährt. Im Grunde spricht man von einer sozialen Bienenkolonie, wenn ein Weibchen seine Larven direkt füttert und die sich daraus entwickelnden Bienen dann der stets präsenten Mutter bei der weiteren Brutpflege helfen. Diese Mutter nennen wir Königin und als solche hat sie dank ihrer helfenden Töchter, die wir Arbeiterinnen nennen, nun die Möglichkeit, mehr Nachkommen zu hinterlassen, als wenn sie solitär geblieben wäre. Zudem kann sie mit wachsender Zahl der Arbeiterinnen die Arbeit weitgehend denen überlassen und sich immer mehr aufs Eierlegen beschränken. So halten es die Königinnen unserer Hummeln (Bombus), die man wenige Wochen nach der Nestgründung jeweils nicht mehr herumfliegen sieht. Mehr oder weniger sozial leben auch mehrere Arten aus der Gruppe der Furchenbienenartigen, bei denen es alle Übergänge von primitiver bis höher entwickelter Sozialität gibt. Ob Hummeln oder Furchenbienenartige, fast alle bilden bei uns nur einjährige soziale Kolonien. Unsere einzigen beiden einheimische Arten mit mehrjährigen sozialen Kolonien sind die Langlebige Schmalbiene (Lasioglossum marginatum) sowie die ursprünglich in Wäldern lebende Honigbiene (Apis mellifera).
Lückenloser Blütenhorizont erforderlich
Die solitären und oft oligolektischen Arten treten über das ganze Jahr verteilt auf und sind während ihrer Flugzeit auf ein ausreichendes Angebot ihrer spezifischen Pollenquellen angewiesen. Dabei ist auch der quantitative Pollenbedarf nicht zu unterschätzen, da manche Wildbienenweibchen den gesamten Pollengehalt von mehreren hundert Blüten sammeln müssen, um nur eine einzige Brutzelle damit zu verproviantieren [3]. Daraus ergibt sich, dass nur Gebiete mit einem ganzjährig diversen und grossen Blütenangebot eine vielfältige Gemeinschaft verschiedener Solitärbienenarten beherbergen kann. Auch für soziale Arten ist ein ununterbrochenes Blütenangebot erforderlich. Allen sozial lebenden Bienen ist gemeinsam, dass sie während der ganzen Vegetationsperiode aktiv sein müssen und es sich dabei auch nicht leisten können, vom Pollen einiger weniger, womöglich nur saisonal blühender Pflanzenarten abhängig zu sein. Soziale Bienenarten sind deshalb in der Regel polylektisch. Generell lässt sich sagen, dass jede soziale Bienenart – ebenso wie die Artengemeinschaft der Bienen als Ganze – auf einen lückenlosen Blühhorizont während der gesamten Vegetationsperiode angewiesen ist.
Hauptressource Nistplatz – Nahrungssuche von zentralem Nest aus
Wie ihre räuberischen Vorfahren legen Bienenweibchen für ihre Nachkommen an einem sicheren Ort Brutzellen an, verproviantieren diesen aber mit Blütenpollen. Ganze zwei Drittel der heimischen Arten bauen ihre Nester in selbstgegrabenen Gängen im Boden oder parasitieren die Nester solcher sogenannten Bodennister. Sie alle sind auf offene Bodenstellen angewiesen, wobei es Präferenzen hinsichtlich Bodenneigung, Bodensubstrat und Bodenbewuchs gibt: Während viele Arten ihr Nest auf ebenen oder leicht geneigten Flächen anlegen, nutzen andere nur Steilwände und senkrechte Erdabbruchkanten. Manche Arten besiedeln komplett unbewachsene Flächen, die meisten bevorzugen hingegen schütter bewachsene Bodenstellen beispielsweise an Böschungen. Darüber hinaus sind einige Spezialisten nur auf Sand-, Lehm- oder Lössboden zu finden. Neben den zahlreichen Bodennistern gibt es diverse weitere, ebenso spezialisierte Nisttypen. Diese Arten bauen ihre Nester in vorhandenen Hohlräumen, Felsspalten oder gar Schneckengehäusen, in selbstgenagten Gängen in Morschholz oder Pflanzenstengeln, selten auch frei aber hart vermörtelt an felsigen Stellen.
Foto: Brutzelle, Larve und Imago der Efeu-Seidenbiene (Colletes hederae). Diese auf Efeupollen spezialisierte Seidenbiene benötigt – in für sie erschwinglicher Reichweite von ausreichend Efeu-Blüten – sandige oder lösshaltige Abbruchkanten, in welche sie Gänge gräbt um ihre Brutzellen anzulegen. (Foto: © Jürg Sommerhalder)
Da nestbauende Bienen auf unzähligen Sammelflügen Blütenprodukte (Pollen und Nektar) in ihr Nest eintragen, dürfen die entsprechenden Blüten nicht allzu weit von den Nestern entfernt sein. Man spricht in solchen Fällen von einer Nahrungssuche von zentralen Plätzen aus (Orians & Pearson 1979). Da jeder Suchflug mit Zeit- und Energieaufwand verbunden ist, gelten für nahrungssuchende Bienenweibchen maximal zumutbare Flugdistanzen. Diese bewegen sich für die meisten Arten zwischen 300 m und 1500 m [3]. Zusätzlich zur Nahrung für ihre Nachkommen müssen viele Bienenarten auch Nistmaterial eintragen. Das kann je nach Art allerlei Erd- oder Pflanzenmaterial wie Pflanzenhaare, Blattstücke, Blütenblätter, Harz, Steinchen oder Lehm sein. Somit benötigen Wildbienen in ihrem Lebensraum die artspezifisch geeigneten Niststrukturen, das allenfalls benötigte Nistmaterial und das bevorzugte Blütenangebot in ausreichender Menge. All dies muss in kurzer Distanz zueinander aufzufinden sein. Wertvolle Lebensräume für vielfältige Wildbienengemeinschaften zeichnen sich deshalb durch eine kleinräumige Strukturierung und ein reiches Angebot ihrer Hauptressourcen – Blütenpollen, Nistplätze und Nistmaterial – aus.
Zusammenfassung
- In der Schweiz sind 616 Bienenarten bekannt. Die Honigbiene ist nur eine davon und tritt heute fast ausschliesslich als Nutztier des Menschen auf. Im Gegensatz zur Honigbiene – der allgegenwärtigen Nutzbiene – werden alle anderen Bienenarten als Wildbienen bezeichnet.
- Bienen sind vegetarische Wespen, die ihre Larven anstelle von erbeuteten Tieren mit eiweissreichem Blütenpollen und Nektar versorgen.
- Alle weiblichen Bienen besitzen einen Wehrstachel und können grundsätzlich zustechen, wenn sie angefasst werden. Die allermeisten Wildbienen fliehen aber vor dem Menschen und verteidigen ihr Nest nicht.
- Die Evolution der Bienen und Blütenpflanzen hat sich stark wechselseitig beeinflusst. Die unterschiedlichen Anpassungen und die damit entstandene Vielfalt der Bienen und der Bestäubungsmethoden sind mit ein Grund dafür, dass Bienen heute als die wichtigste Bestäubergruppe unter den Insekten gelten.
- Rund 35% heimischen Bienenarten sind pollenspezialisiert und sammeln nur auf Blüten von einigen wenigen Pflanzenfamilien oder auch nur einer einzigen Pflanzenfamilie / -gattung.
- Eine vielfältige Wildbienengemeinschaft benötigt während der gesamten Vegetationsperiode ein kontinuierliches, vielfältiges und grosses Blütenangebot.
- Die meisten Bienenarten nisten für sich alleine und haben eine beschränkte Flugzeit von wenigen Wochen im Jahr. Nur wenige Arten sind zu einer sozialen Lebensweise übergegangen und bilden langlebigere Völker.
- Ganze zwei Drittel der heimischen Wildbienenarten nisten in selbstgegrabenen Gängen im Erdboden und benötigen dafür offene Bodenstellen. Andere Arten bauen ihre Nester in vorhandenen Hohlräumen, Felsspalten oder gar Schneckengehäusen, in selbstgenagten Gängen in Morschholz oder Pflanzenstengeln, selten auch frei aber hart vermörtelt an felsigen Stellen.
- Die Nistplätze liegen optimalerweise möglichst nahe bei den Blütenressourcen, um den pollensammelnden Weibchen lange und energieaufwendige Flüge zu ersparen. Wertvolle Lebensräume für Wildbienen sind deshalb kleinräumig strukturiert und verfügen über ein reiches Angebot an Kleinstrukturen und Blütenpflanzen.
[2] info fauna – Centre Suisse de Cartographie de la Faune (CSCF)
[3] Zurbuchen A. & Müller A. 2012. Wildbienenschutz – von der Wissenschaft zur Praxis. Bristol-Schriftenreihe 33: 162 S.
[4] Müller A., Krebs A., Amiet F. 1997. Bienen; Mitteleuropäische Gattungen, Lebensweise, Beobachtung. Naturbuch-Verlag, Augsburg. 384 S.